Es ist Hochsommer, endlich beginnen die Schulferien. Endlich dürfen wir wieder die Koffer packen. Und wie jedes Jahr, wenn ich die Taschen aus dem Keller hole und öffne, flattern mir ein paar vergessene Mitbringsel entgegen. Getrocknete Stranddisteln, Rosmarinnadeln, Pinienkerne… mal Blätter, mal Blüten oder Zweige. Urlaub, das heißt für mich seit ein paar Jahren nicht mehr nur „neues Land“, sondern auch neu auf Pflanzensuche zu gehen. Und neue Erinnerungen wieder mitzubringen.
Spannend werden diese Erkundungstouren vor allem dann, wenn ich fern von daheim unterwegs bin. Andere klimatische Bedingungen bringen andere Pflanzen hervor. Oder die gleichen, mit anderem Aroma. Unvergessen bleiben daher die riesigen Mengen Johanniskraut, die ich in einem meiner ersten Wildpflanzen-Jahre im Südosten Griechenlands entdeckte. Schon Wochen, bevor es bei uns die Knospen öffnet, standen die Büsche in voller Blüte. So viel auf einmal hatte ich noch nie gesehen, und es wuchs definitiv wild. Rot-Öl ansetzen war meine erste Idee. Aus Transportgründen entschied ich mich, nur ein paar Hände voll zu trocknen und in einem kleinen Stoffbeutel mitzunehmen. Aus dem Beutel wurde daheim ein Kissen. Der Duft und die Erinnerung an die Entspanntheit des Urlaubs blieben mir so mehrere Jahre erhalten.
„Grasen“ in Europa und auf fremden Kontinenten
Meine europäische Liste der Wildpflanzen-Erlebnisse ist mittlerweile ganz schön lang. Vom kalabrischen Fenchel und dem passenden Likör, wilde Möhre knabbernden Kindern an griechischen Stränden, spanischen Stranddistel-Sammlungen in Fußsohlen und französischen Unbekannten (die sich daheim als Kap-Löwenzahn enttarnten), bis hin zu meiner kulinarischen Entdeckung diesen Frühjahrs: dem mediterranen Lauch, einem schmalblättrigen Allium-Gewächs, dessen Blüte dem Bärlauch sehr ähnelt. Ich hätte grasen können…
Doch auch auf fremden Kontinenten lohnt sich die Wildpflanzensuche. In Costa Rica war die ganze Familie mit Begeisterung dabei, als es galt, Fauna und Flora bei einer Dschungelexkursion zu entdecken: Wir werden die riesigen Mammut- und uralten Eisenbäume, die vielgestaltigen Farne und die Pflanzen mit unglaublich großen und farbigen Blüten nie vergessen. Und sogar hier, viele tausend Kilometer von daheim entfernt, entdeckte ich bei einem Stopp in höheren Gefilden ein paar gute Bekannte: Breitwegerich und Schafgarbe. Gegessen habe ich sie nicht, dazu boten regionale Gemüse- und Obstsorten zu viel neue Geschmackserlebnisse. Aber ein bisschen mehr zu Hause gefühlt habe ich mich dann doch.
Genervte Kinder und ein neuer Blick
Kurz und gut: Seit ich dem Genuss essbarer Wildpflanzen und der Schönheit (auch ungenießbarer) wilder Gewächse verfallen bin, hat Reisen für mich einen zusätzlichen Reiz. Wo immer ich bin, begebe mich auf Entdeckungstour. Bei meiner Familie führt das nicht immer zu Begeisterungsstürmen. Teenager sind von Ausrufen wie „Schaut mal, ein …“ oder „Oh wie hübsch, was ist das wohl?“ eher genervt. Eine Mutter, die beim Picknick schnell noch ein paar Blätter „Wiese“ aufs Brot legt, ist potenziell peinlich. Und auch mein Mann freut sich nicht immer, wenn ich bei Wanderungen oder gar Radtouren zurückfalle, weil ich eine Pflanze betrachten, fotografieren oder identifizieren muss. Also heißt Urlaub für mich auch: Ich nehme mir kleine Auszeiten und stromere ein Stündchen mit Bestimmungsbuch (am besten für die Region) und/oder App ausgestattet durch die Gegend, auf der Suche nach guten Bekannten und neuen Wilden. Für mich ist das eine Form von Meditation, auch freie Tage in heimischen Gefilden bekommen dadurch mehr Erholungswert und einen neuen Reiz.
„Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, dass man nach neuen Landschaften sucht. Sondern dass man mit neuen Augen sieht.“ schreibt Marcel Proust. Und so komme ich dann mit ein paar Zutaten fürs Abendessen, ein paar „Unbekannten“, vielen, vielen Fotos auf dem Smartphone und vor allem glücklich von meiner Sammeltour zurück. Da hat dann die ganze Familie etwas davon.
Wildpflanzen und Urlaub: Ganz ohne Regeln geht’s nicht
Hier meine Top-4 bei der Wildpflanzensuche in fremden Gefilden.
- Iss nie, was Du nicht kennst. Unbekannte Pflanzen versuche ich gleich vor Ort zu bestimmen, ansonsten nehme ich ein kleines, aber typisches Exemplar – am besten mit Blättern, Stängel, Blüte und Frucht – mit, wenn genügend andere dort wachsen.
- In Naturschutzgebieten bleibt es bei den Fotos. Ebenso, wenn ich mir nicht sicher bin, ob eine Pflanze geschützt ist. Manchmal schreibe ich mir gleich auf, welche Pflanze ich wo gesehen habe – und freue mich dann, wenn ich sie an anderen Orten wiederentdecke.
- Ich nasche nur, wenn ich eine Pflanze oder Frucht wirklich sicher erkenne. Und ich wasche mir nach meiner Entdeckungstour gründlich die Hände. Denn um die verschiedenen Seiten einer Pflanze zu erkunden, fasse ich auch unbekannte Exemplare manchmal an. Die Finger sollte man danach jedoch nicht unbedingt in den Mund stecken…
- Punkt 4 habe ich mir nicht selbst ausgedacht: Bitte Vorsicht bei der Mitnahme von Pflanzen oder gar Saatgut aus anderen Ländern oder in andere Länder. Es gibt für manche Regionen und Länder strenge Zollvorschriften, die dem Schutz der heimischen Flora und Fauna dienen.
P.S.
Für die anstehende Radtour durchs Inntal habe ich meiner Familie übrigens versprechen müssen, dass ich mich erst nach Erreichen des Tagesziels auf Wildpflanzensuche begebe.