Ein bisschen Nascherei darf sein. Vor allem dann, wenn die Zutaten aus Wald und Wiese kommen. Welche essbaren Wildpflanzen das sein können, lest Ihr hier.
„Für ein Eis ist immer noch Platz“, hat meine Großmutter gesagt. Und auch, wenn ich das nicht zu jeder Zeit unterschreibe, zu so einem feinen Dessert kann ich selten „Nein“ sagen. Es muss ja nicht viel sein. Und wenn dann noch ein paar Wildpflanzen nicht nur neue Aromen, sondern auch einen Schwung Vitamine und Mineralien dazu liefern, nascht es sich noch mal so gut.
Immer der Nase nach
Doch ganz ist das nicht. Denn selbst eingefleischte Liebhaber müssen zugeben, dass viele Wildpflanzen nicht oder nur eingeschränkt dessert-kompatibel sind. Ja, aus den Blüten lässt sich leicht süßer Nektar saugen. Aber habt Ihr mal versucht, auf diese Weise ein Dessert für vier Personen zu machen? Keine Chance.
Blätter und Stiele geben da schon viel mehr Masse her. Doch weder der kohlähnliche Geschmack der Senfölglykoside vieler Kreuzblütler, noch das knoblauchähnliche Alliin der Lauchgewächse passen für die meisten von uns zu etwas Süßem. Das Gleiche gilt für intensive Gerbstoffe und bittere Schärfe. Welche unserer heimischen und essbaren Wildpflanzen lassen sich also für Süßspeisen nutzen?
Meiner Erfahrung nach lohnt es sich, der eigenen Nase zu folgen und bei folgenden Pflanzengruppen genauer hinzuriechen und zu schmecken: Pflanzen mit reichlich ätherischen Ölen (z.B. viele Lippenblütler aber auch Doldenblütler und Nadelbäume), Pflanzen mit Cumarinen (zum Beispiel Rötegewächse) und junge, zarte Pflanzen mit leichter Säure (z.B. Knöterichgewächse, Pflanzen mit Oxalsäure).
Wenn ich mir über Geschmack und Geruch der Blätter vorstellen kann, dass sie zu einem Dessert passen, probiere ich es einfach aus. Als Vorlage nehme ich häufig Rezepte, die ich bereits mit konventionellen Pflanzen, Kräutern oder Gewürzen ausprobiert habe und wandele sie ab. Ein Beispiel: Wenn ich ein Dessert mit Karotten mag, kann es durchaus einen Versuch wert sein, dieses mit Giersch auszuprobieren. Und wenn Panna Cotta oder Sorbet allerorts mit Lavendel, Minze oder gar Basilikum aromatisiert werden – warum geben wir dann nicht wildem Dost oder Gundermann eine Chance? Mein Tipp: Beim ersten Versuch nur eine sehr kleine Menge herstellen und das Pflanzenmaterial schrittweise hinzufügen. Denn am Ende sind Aromen-Kombinationen eine sehr persönliche Geschmacksfrage. Und etwas ungewohnt für unsere Gaumen sind die bittersüßen Wildpflanzendesserts dann doch.
Die ganze Pflanze oder nur das Aroma?
Zu den „einfachen“ Dessert-Wildpflanzen, die sich komplett und vielfältig einsetzen lassen, gehören Gundermann, zarte wilde Minzen, Sauerampfer und Sauerklee. Auch die jungen Triebe von Fichte, Tanne oder Lärche – achtsam gesammelt –, sind essbar und geben ein herrlich feinsäuerliches Aroma ab. Rhabarberähnlich schmeckt der japanische Flügelknöterich. Auch Wiesenbärenklau lässt sich wunderbar in süßen Gerichten verarbeiten, speziell die geschälten Stiele sind intensiv aromatisch und ergänzen z.B. wilde Brombeeren aufs Feinste. Mit Giersch lassen sich ebenfalls süßaromatische Kombinationen zaubern. Und ich persönlich liebe sogar Schafgarbe und wilden Dost als feines Gewürz für wilde Desserts, eine kleine Menge der fein gehackten Blättchen reicht.
In vielen Fällen macht es Sinn, das Aroma „auszuziehen“, um einem Gericht den kulinarischen Kick zu geben. Mit einem „Auszug“ löse ich das Aroma aus der Pflanze und fange es in einer Flüssigkeit ein. Da die meisten Aromen fett-, säure- oder alkohollöslich sind, gelingt das besten mit Hilfe von Apfelsaft, Zitronenwasser oder auch Wein. Die Waldmeisterbowle, in der ein paar wenige Stängel des Krautes bis zum Servieren ziehen dürfen, ist hier der bekannte Klassiker. Siebt man die Auszugsflüssigkeit nach einigen Stunden ab, lässt sich mit Hilfe von einem Geliermittel, wie Pektin oder Agar Agar, und etwas Süße, ein feines Gelee herstellen. Für Pudding, Creme, Panna Cotta oder sogar Creme brulée lasse ich aromatische Blätter oder auch Blüten in der erwärmten Sahne einige Zeit ziehen, siebe sie dann ab und verarbeite sie nach Rezept weiter. Besonders geeignet ist für diese cremigen Desserts nicht nur Süßspeisenkönig Gundermann, sondern die Blüten vom Wiesenlabkraut oder Mädesüß.
Apropos Mädesüß: Wer Bittermandelaromen liebt, ist bei den Rosengewächsen richtig. Nicht nur die Kerne enthalten das duftende Öl, sondern auch manche Blüten und ganz junge Triebe. Brombeere oder Eberesche sind hier gute Beispiele. Das Aroma lässt sich mit Hilfe von Alkohol gut lösen, dabei verduftet auch gleich die ebenfalls vorhandene Blausäure auf Nimmerwiedersehen. Und das Amaretto-ähnliche Ergebnis gibt wiederum vielfältigen Süßspeisen einen geschmacklichen Kick.
Den Duft einfangen
Wenn es um süße Aromen geht, darf der Sirup nicht fehlen. Mit einem Zucker-Wasser-Verhältnis von 1:3 wird er nicht zu süß und luchst doch den essbaren Wildpflanzen oder Blüten auf einfache Art und Weise ihr Aroma ab. Um dann eine Quarkspeise zu verfeinern oder ein Eis aufzumotzen.
Abschließend noch ein Wort zu essbaren Blüten. Auch wenn diese noch so fein duften oder mit reichlich Nektar Insekten anlocken: Nicht jede Blüte hat ein interessantes Aroma. Und selbst wenn, passt dieses nicht unbedingt ins Dessert. Wer schon mal herzhaft in eine Gänseblümchen-Blüte gebissen hat, weiß wovon ich spreche. Manche Blüten sind alles andere als zart und süß – sie sind richtig scharf und bitter. Vor allem bei Korbblütlern ist es daher extrem wichtig, den Blütenkorb und jegliches Grün zu beseitigen, bevor die Blüten in den Nachtisch wandern. Aber auch bei Hollerdolden, Mädesüß- oder Labkraut-Blüten empfiehlt es sich, die Stiele möglichst gut zu entfernen, um den Bittergeschmack zu minimieren. Wer diese Mühe jedoch auf sich nimmt, erweitert die wilde Dessertküche um viele Möglichkeiten.
Ach ja, da wären dann noch die aromatischen Samen, die wilden Früchte oder gar süße Wurzeln… Bei genauerem Hinsehen ist die Vielfalt enorm. Es lohnt sich, immer wieder Neues auszuprobieren. Und wenn das Dessert mal bittersüß schmeckt, hat auch das einen positiven Effekt: Ausreichend Bitterstoffe in der Nahrung, lassen die Lust auf Süßes schwinden. Damit uns nicht Heißhunger, sondern einfach nur der Genuss leitet.