Wildpflanzenliebe geht durch den Magen. Und zieht von der Wiese über den Tellerrand hinaus immer weitere Kreise. Eine sehr persönliche Betrachtung über (wildes) Essen und Erkenntnis. Und ein Artikel in mehreren Teilen, die ich in unregelmäßigen Abständen veröffentliche.
Teil I: Blick übers Tal
Ein Sommertag Ende Mai. Vor der Alm-Tür steht der große, von Regen, Sonne, Wind und Mahlzeiten ergraute Holztisch, darauf mein Laptop. Die kleine Esche am Hang wächst mitten in die Aussicht über die linke Seite des grünen Samerberger Hochtal. Manchmal stört mich das. Um Erlaubnis hat sie nicht gefragt. Aber sie wächst. Drumherum naschen Bienen, Hummeln und Schmetterlinge von Himbeerblüten, Storchschnabelblüten und an den ersten Wildrosen. Der Holler duftet. Vögel zwitschern, Kuhglocken läuten und aus der Ferne höre ich, wie die Bauern Heu einfahren. Ein traumhafter Blick, eine unglaubliche Frühsommerfülle. Der perfekte Ort für „Wildpflanzenküche mit Ausblick“. Hier, in der Idylle in der noch alles in Ordnung ist.
Wirklich? Alles in Ordnung?
Erst vor kurzem hatten wir auf der Alm kein Wasser mehr. Aus dem Wasserhahn blubberte ein kraftloses Rinnsal – die Quelle, die Alm und Weide versorgt, war leer. Mitte Mai. In Bayern. Nicht, weil wir einen Pool gefüllt oder stundenlang den Rasen gesprengt hätten. Nicht, weil es über Wochen bei Hochsommersonne dreißig Grad und mehr gehabt hätte. Nein: Der Grundwasserspiegel ist gesunken, weil es hier seit Dezember zu wenig geregnet, im Winter zu wenig geschneit hat. Ähnlichen Wassermangel, berichtet der Bauer, dem die Alm gehört, habe es zumindest in den fünfzig Jahren zuvor, von denen er weiß, nie gegeben. Klimawandel! Manchmal schaudert es mich. In Ordnung ist auch hier längst nicht alles.
Trotzdem oder gerade deswegen gibt es in der Alm-Kräuterei „Wildpflanzenküche mit Ausblick“. Zum ersten, weil der Blick aus der Außenküche übers Tal tatsächlich einfach weit und schön ist. Weil Weitblick nach außen auch den inneren Weitblick schärfen kann. Zum zweiten, weil ich erlebe, dass in den letzten Jahren rund um die Alm zumindest im Kleinen einiges besser wird: Es gibt Jahr für Jahr wieder mehr unterschiedliche Wildpflanzen, mehr Bienen. Zumindest habe ich den Eindruck, dass es auf diesem kleinen Stück Erde so ist. Und zum dritten, weil sich hinter aktiv gelebter und bewusst genossener Wildpflanzenküche noch viel mehr versteckt, als Sammeln, Kochen und Essen. Mehr Umweltschutz, mehr Bio-Vielfalt, mehr Gesundheit … und für jeden Einzelnen auch eine etwas buntere Zukunft. Wenn man sich darauf einlässt.
Ach ja: Die Quelle hat sich langsam aber stetig wieder erholt. Die Kühe haben genug Wasser, wir auch. Und für Notfälle hat der Bauer eine zweite Quelle erschlossen. Es wird wieder, wenn deshalb auch nicht alles gut ist. Und ich freue mich, wenn es ab und zu ausgiebig regnet.
Mehr zur Wildpflanzenküche mit Ausblick? Das sind die Themen der folgenden Kapitel:
Teil II: Liebe geht durch den Magen
Superfood, Slowfood, Soulfood…
… und obendrein noch gesund.
Mix’nMatch – wir haben die Wahl
Bienenfreundlich und plastikfrei
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