Die Sonnensammlerin

von wildkraeuterkoechin
Johnniskrautblüten

Bis zum 21. Juni werden die Tage immer länger. Und auch in den Wochen danach blüht alles und die Sonne kommt zur vollen Kraft. Kein Grund also, über düstere Wintertage nachzudenken, an denen es kaum hell zu werden scheint. Doch genau jetzt, Ende Juni, Anfang Juli, also rund um Sonnwend und Johanni, bringt die Natur ein Kraut hervor, das Licht in dunkle Tage bringen kann: das Echte Johanniskraut.

Schon in der Antike beschrieb der griechische Arzt Dioskurides in einer seiner Schriften die Wirkung des Hypericon, seitdem gilt die Heilkraft der Pflanze als belegt. Hildegard von Bingen nannte es „Arnika der Nerven“. Hypericum perforatum lautet der botanische Name des Krautes, das in bis zu 80 Zentimeter hohen Büschen wächst und vor der Blüte an seinem harten, zweikantigen Stiel ebenso wie an den daran sitzenden, oval-länglichen, gegenständigen Blättern zu erkennen ist. Bei genauerem Hinsehen wirken diese gepunktet. Rein botanisch gesehen sind es Öldrüsen, im Mittelalter jedoch machte man den Teufel dafür verantwortlich. Die Legende besagt, dass er versucht habe, die Pflanze mit seinen Krallen zu durchbohren, weil eine arme Menschenseele bei ihr Schutz, Heil und Licht gefunden habe. Der Teufelsaustreiber, so wurde das Johanniskraut nicht umsonst genannt. Schließlich hat die Pflanze tatsächlich die Fähigkeit, innere Dämonen zu vertreiben und Licht zu bringen.

Mir selbst scheint, dass die fünf sonnengelben Blütenblätter, die einseitig schwach gezähnt sind, zusammen mit den dunkelrotbraunen Staubblättern die Sonne so richtig aufsaugen. „Da legen Sie ja die Sonnensammlerin ins Glas“, kommentierte einmal eine Spaziergängerin, die mich beobachtete, wie ich von einer großen Staude die Blüten abzupfte und für ein Rot-Öl gleich in mein Einweg-Glas gab. Die Sonnensammlerin. Welch passender Name für eine Pflanze, die entscheidender Bestandteil verschiedener Sommerbräuche ist – von Sonnwend-Ritualen bis zum Marien-Buschen. Kurz nach der Sonnenwende, zu Johanni am 24. Juni, sollen die Blüten die stärkste Heilkraft enthalten.

Johanniskraut stärkt die Nerven von innen wie außen

Auf den genauen Termin als Sammelzeitpunkt würde ich mich nicht festlegen, denn in manchen Jahren und Höhenlagen blüht das Kraut erst deutlich später. Und für die Wirkung ist es wesentlich besser, die Blüten an einem Sonnentag als im strömenden Regen zu ernten. Doch davon mal unabhängig: Das echte Johanniskraut sammelt tatsächlich Sonne und Licht – und gibt sie in Form von Tee, Tinktur, Heu-Kissen oder sogar pharmazeutisch aufbereitet in Drageeform bei Bedarf an die Menschen wieder ab. Bei nervöser Unruhe, Antriebslosigkeit, leichten Schlafstörungen oder wenn einfach nur der Winter zu lang und zu dunkel erscheint, kommt traditionell Johanniskraut-Tee zum Einsatz.

Johanniskraut-Blüte
Blühendes Johanniskraut – in der Mitte des Jahres erreicht es die volle Kraft.

Damit sich die sanfte Wirkung entfalten kann, sollte eine Kur zumindest drei Wochen dauern, jedoch nie länger als sechs Wochen am Stück. Danach empfehlen Therapeuten eine ebenso lange Pause. Und Achtung: Johanniskraut steigert auch im wortwörtlichen Sinn die Lichtaufnahme – die Haut wird deutlich sonnenempfindlicher, die Sonnenbrandgefahr steigt. Bei einem mit getrocknetem Kraut gefüllten Kissen, dessen Duft beim Einschlafen helfen kann, ist diese Nebenwirkung glücklicherweise nicht zu erwarten. Das leuchtende Rot-Öl, das ganz einfach als Auszug aus den Blüten des Johanniskrauts herzustellen ist, hilft bei Prellungen, lindert die Schmerzen bei Hexenschuss, Rückenleiden oder Rheuma und pflegt die Haut bei leichtem oder abklingenden Sonnenbrand.

Blüten und Kraut – optimal für einen Johanniskrauttee

In der Schulmedizin kommt die nervenstabilisierende Heilpflanze zunehmend mehr zum Einsatz. Hypericum perforatum gilt als das stärkste pflanzliche Antidepressivum, das uns in Europa zur Verfügung steht. Die Wirkung des im Kraut enthaltenen Hypericin ist wissenschaftlich bestätigt, doch in wildwachsenden Pflanzen schwankt der Gehalt. Fertigpräparate sind hier die sichere Alternative, da sie eine festgelegte Wirkstoffmenge enthalten. Neben der Sonnenempfindlichkeit können sie jedoch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, wie Blutgerinnungshemmern, Anti-Baby-Pille oder Antibiotika, hervorrufen. Sie sollten daher nie ohne ärztlichen Rat eingenommen werden.

Farbe essen

Gesundheit essen, bevor man leidet – das ist meine persönliche Devise. Nun ist Johanniskraut rein kulinarisch gesehen nicht unbedingt ein Highlight, auch wenn sich zarte Blätter und Triebe ganz gut in Salaten oder Wildgemüsen machen. Die intensive Farbe der herb-süßen Blüten hat es allerdings in sich. Kreativköche mischen daher einfach eine Handvoll sorgfältig gezupfter Blüten (mitsamt Staubblättern!) in ein Risotto oder lassen sie in der Milch für Pudding und Co. ausziehen. Das Ergebnis bringt in auffälligem orange-gelb die Sonne auf den Teller. Wenn das mal nicht die Stimmung hebt.

Johanniskraut-Risotto
Gute-Laune-Risotto mit Johanniskraut

Johanniskraut-Risotto (vegan oder vegetarisch):

1 rote Zwiebel, 250 g Risotto-Reis, etwas Wein oder Apfelsaft, 800 ml heißen Gemüsefond oder -Brühe, eine Hand voll Johanniskraut-Blüten, Parmesan / Butter / Sesam- oder Olivenöl / Kürbiskerne – je nach Geschmack und Vorliebe

Rote Zwiebel fein hacken und mit 250 g Risottoreis in etwas Olivenöl glasig dünsten. Mit einem Schuss Wein oder Saft ablöschen. Nach und nach den heißen Fond aufgießen, unter Rühren einköcheln lassen, wieder aufgießen. Und so weiter. Nach etwa 20 Minuten bzw. 2/3 der Flüssigkeit können die fein abgezupften und eventuell zerkleinerten Johanniskrautblüten zugegeben werden. Wichtig für die Farbe ist, dass möglichst viele Staubblätter dabei sind. Nach ca. 30 Minuten sollte der Risotto noch bissfest, aber cremig sein. Auf Wunsch ein bis zwei Esslöffel Öl / (vegane) Butter untermischen, mit Salz und Pfeffer abschmecken. Wer mag, serviert geriebenen Parmesan oder geröstete Kürbiskerne dazu. Als Beilage eignet sich ein herb-bitterer Salat, zum Beispiel mit Löwenzahn.

Rot-Öl –  beruhigt die Nerven von außen

Ein Schraubglas zu einem guten Drittel mit Johanniskraut-Blüten füllen. Mit einem guten Öl (der Geruch ist wichtig!) nach Wahl auffüllen. Vier bis sechs Wochen an einem warmen Ort stehen lassen, dabei täglich schütteln, danach abfiltern. Das fertige, dann rote Öl im Kühlschrank aufbewahren. Innerhalb von einem Jahr verbrauchen – dann ist das neue Öl fertig.

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4 Kommentare

Leonie 10. Juli 2020 - 11:45

In der Milch für Süßspeisen ausziehen lassen – das hatte ich noch nicht gehört. Wie macht sich das Johanniskraut farblich und aromatechnisch bemerkbar – welche Süßspeisen hältst du für besonders geeignet? Hab da wenig Erfahrung – ich bin nicht so eine Süße.

Und schon einmal vorab vielen Dank für deine immer kreativen und liebevoll arrangierten Rezept-Ideen.

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wildkraeuterkoechin 21. September 2020 - 23:08

Es geht so ein bisschen in die Safran-Richtung – nur lang nicht so intensiv.

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Irena 3. Januar 2023 - 22:18

Sehr schöner Artikel. Vielen Dank 🙂

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wildkraeuterkoechin 23. Februar 2023 - 10:36

Sehr gerne! Ich freu mich, dass er Dir gefällt.

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